Die Geschichte von YouTube ist noch nicht besonders alt: 2005 starteten Steve Chen, Chad Hurley und Jawed Karim das Unternehmen als Video-Dating-Plattform, die sich schnell zur weltweit größten Video-Community entwickelte. Ein Jahr später von Google gekauft, werden heute jeden Tag über eine Milliarde Videos von den Nutzern auf das Portal hochgeladen und angeschaut. Über die Jahre wurde das Erscheinungsbild auf diversen Endgeräten, Betriebssystemen, Browsern und Apps immer vielfältiger in den Darstellungen des Logo und führte letztlich zu einem chaotischen, inkonsistenten Markenerlebnis.
Zur Einführung bekam das CXI-Publikum einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des ersten Logos: Die Kombination der Form eines Röhren-Fernsehers mit dem Wort «Tube» – angelehnt an das Logo des bekannten US-TV-Magazins «As Seen on TV» – in der Alternate Gothic, schwarz und negativ auf roter Fläche. Über die Jahre wurde ein zweites Logo benutzt – der Röhren-Fernseher mit dem Play-Zeichen, welches häufig in vielfältigen Variationen in den Sozialen Medien eingesetzt wurde. Eine ganze Bandbreite an Rottönen war im Umlauf – nie in der Geschichte von YouTube wurden Regeln aufgestellt, die die Konsistenz der Marke ermöglichten. Die vielen Kooperationen mit Partnern sowie Events und Produkte von YouTube verwendeten eine inkonsistente grafische Sprache, der Bezug zur Marke und Hierarchien in der Markenarchitektur waren unklar.
2015 wurde Googles Material Design eingeführt, ein Open Source Design System für Interfaces an dem auch Christopher Bettig, Creative Director bei YouTube arbeitete. Alle Produkte unter dem Mutterkonzern, sowie Icons, Logos und Nutzeroberflächen sollten damit ein einheitliches Design bekommen. Nach dem Wechsel von Christopher Bettig zu YouTube, stellte man fest, dass das Design System, welches mit der visuellen Metapher von Papier spielt, nicht die speziellen Bedürfnisse von YouTube deckt, daher keinen Sinn macht. Eine neue Lösung musste her, die Marke von Grund auf neu strategisch aufgestellt werden. «Project Ringo» war geboren. Dafür holte sich YouTube Hilfe von Saffron Brand Consultants aus Madrid.
«Probably this is the biggest Brand we’ve ever worked for. And we were overwhelmed by the responsibility. We didn’t know where to start.» «” Gabor Schreier, Chief Creative Director bei Saffron Brand Consultants.
Katzenvideos und Schmink-Tutorials
Der erste Termin bei YouTube zeigte den Consultants von Saffron bereits was sie erwartete: «We probably needed an insurance for eye cancer before», scherzte Gabor Schreier. Unordentlich und quietschbunt zeigte sich die Unternehmenszentrale in San Bruno, Kalifornien – gar nicht wie man sich ein Multimilliarden-Tech-Unternehmen vorstellte. Die Designer sammelten Eindrücke von der Kultur bei YouTube, sprachen mit vielen Mitarbeitern und kamen zu der Erkenntnis: Die Innensicht unterscheidet sich nicht von der Außensicht der Nutzer. YouTube wird nicht als Unternehmen wahrgenommen, viel mehr als globale Community, Container von Inhalten, als allgemeines Kulturgut, etwas dass jedem gehört und als «Culture Engine», der die Demokratisierung von Kultur vorantreibt, die ganze Welt beeinflusst. Ebenso «messy» wie viele schlecht aufgenommene Videos ist auch die Identität des Unternehmens, dass sich seit der Übernahme durch Google bzw. dem Mutterkonzern Alphabets zum ersten Mal damit konfrontiert sah Geld erwirtschaften zu müssen und als Unternehmen zu funktionieren.
Nach der Analyse-Phase standen die Consultants von Saffron mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn da, verzweifelten fast an der Aufgabe und gaben das offen gegenüber dem Auftraggebern zu. «People say, YouTube is not a company, it belongs to themselves», erklärte Gabor Schreier die Zwickmühle. Wie sollte man es schaffen hier ein Corporate Design einzuführen? Wie spricht man mit einer Zielgruppe, die behauptet YouTube gehöre ihnen bzw. allen? Oder: Ist es gar das Ende von Corporate Design?
Das Thema «Shared Identity» bzw. «Shared Brand», eine als Allgemeingut geführte Marke wurde viel im engen Austausch diskutiert und zum Schlüssel für das Verständnis von YouTube. Ein Zitat von Susan Wojcicki, YouTube CEO bringt die Mission der Marke auf den Punkt: «Empower the world to create, broadcast and share.» Die User nutzen YouTube um sich zu profilieren, neue Identitäten zu erfinden, Meinungen und Wissen auszutauschen. Die Idee YouTube als Stadt, Land oder Metropole zu betrachten, wo viele kulturelle Aktivitäten stattfinden, war geboren. Als Beispiel führte Gabor Schreier Metropolen wie Berlin oder New York auf: An der Straßenbeschilderung, berühmter Sehenswürdigkeiten, Verkehrsmittel etc. erkenne man sofort wo man ist. Dazu kommen Sprache, kulturelle Merkmale von Stadtteilen und Nationen, die dort leben, Symbole und Flaggen oder auch geografische Formen auf der Landkarte.
Mit der Methode des «Minimum Viable Brand» kombiniert mit der Expertise in Bereich Corporate Design für Städte und Kommunen – Saffron-Gründer Wally Olins verfasste dazu mehrere Bücher – wurde die Metapher genutzt, um die fiktive Metropole mit einem Corporate Design ausgestattet.
In diversen Routen erforschte man, was vom ursprünglichen Corporate Design übrig bleiben muss, um YouTube zu erkennen: Reicht ein Y, der Play-Button oder sollte der Röhrenfernseher beibehalten werden? Letzteres wurde als Bildmarke definiert: «It is something like a call-to-action, it wants you to press the button», erklärt Matt Atchison, Creative Director bei Saffron. Die Flagge für die Destination YouTube war gefunden, das Icon – in sich asymmetrisch – überarbeitet und begradigt.
Von Flaggen, Straßen, Viertel und Sehenswürdigkeiten
Das Dreieck des Play-Symbols griff man als Raster auf, um Inhalte triagonal anzuordnen, die dreieckigen Flächen mit Bildmaterial oder auch nur mit Farbe zu füllen. Weitere Piktogramme, die man von Video-Aufnahme- oder Abspielgeräten kennt, wurden zum visuellen Repertoire hinzugefügt und symbolisieren Kulturen innerhalb der «Nation» YouTube als grafisches Muster. Im Interface ermöglicht dieses Rastersystem Hintergründe der User-Profile interaktiv zu gestalten: Die Wiederholung von Bildelementen oder Farben aus dem Profilbild im Dreieck-Raster erzeugen abstrakte Bilder in vielfältigen Variationen und erinnern an ethnische Muster. Eine Icon-Sprache für Produkte wie YouTube Kids, YouTube Music bedient sich desselben Rasters. Daraus sind witzige knubbelige Grafiken entstanden, die das Interface und Funktionen auf der Video-Plattform unterstützen.
Öffentliche Kommentare während des Projekts wie «Keep YouTube shitty «¦» von Lady Gaga wurden zum Politikum im Unternehmen. Und erinnerten die Designer unter welch enormen Druck sie standen: «We’ve got to be imperfect and quirky to be accessible, so people feel welcome», fasst der Designer Matt Atchison zusammen. Das neue Corporate Design musste den Usern der Video-Plattform gerecht werden, durfte sie nicht überfordern.
Ein Zusammenschnitt aus YouTube-Ausschnitten zeigte uns einen Einblick in die Welt der Vlogger, musizierende Katzen, kochende Hunde und Karaoke singende Stars im Auto mit beliebten Suchbegriffen. Die Schrift, die wir zu sehen bekamen: die YouTube Sans. Passend zu dem oft verrückten Inhalten, charmant und charaktervoll, nicht zu ernst oder neutral, trifft die neue typografische Sprache die richtige Tonalität, um verschiedene Inhalte angemessen zu kommunizieren. Die selbstbewusste «Quirkyness» der Schrift als Navigation durch das YouTube-Land erfüllt den Anspruch von Individualität und Eigenständigkeit. Auf der Website und in den Apps wird sie in drei Schnitten angewandt und ermöglicht ein einheitliches, kohärentes Interface.
Die YouTube Sans wurde jedoch nicht auf die Wortmarke übertragen. Die Alternate Gothic, 1903 für den Zeitungsdruck gestaltet, wurde leicht abgewandelt, wärmer in seiner Anmutung, für digitale Anwendung besser lesbar gemacht. Die Dachmarke sowie die Untermarken wurden in Kombination mit dem Symbol bzw. der Flagge und der neuen «YouTube Logo Sans» ausgestattet. Also ein klassisches Familien-Dachmarkensystem als Ruhepol gegenüber dem modularen Gestaltungssystem des Corporate Designs, dass nun seit August 2017 weiter implementiert wird.
Die Sprecher ziehen als Fazit ihre Learnings am Ende des Vortrags:
- «Make the logo fucking bigger!» fasste Christopher Bettig zusammen. Er hätte nie gedacht, wie wichtig Visitenkarten sind, nachdem etliche Runden allein dafür gemacht wurden – und wie relevant das Thema Corporate Design auch heute noch ist.
- «Collaboration is key!» – Matt Atchison schwärmte davon was möglich ist, wenn man zusammen an einer solchen Mammut-Aufgabe arbeitet.
- «The end of design can be the beginning of identity», stellte Garbor Schreier fest. Sein Verständnis von einem klassischen Corporate Design wurde ordentlich zerrüttet von vielen Faktoren, die nicht zu kontrollieren seien. Ein open mindset sei erforderlich, um neue Wege einzuschlagen.
Mehr auf dem Brand Portal von YouTube: www.youtube.com/yt/about/brand-resources/